Mario Götze: Sang- und klanglos geht er von Bord

Seit Mittwochnachmittag steht fest: Mario Götze hat sein letztes Spiel, oder besser: seine letzten 14 Minuten für seinen aktuellen Arbeitgeber im CL-Rückspiel gegen Real Madrid absolviert. Keine weitere Minute wird dazu kommen, sein wieder aufgebrochener Muskelfaserriss verhindert einen Einsatz im Champions-League-Finale gegen seinen künftigen Arbeitgeber. Statt einen furiosen Schlusspunkt unter seine Zeit in Dortmund zu setzen, wie er es sich selbst erhofft hatte, geht er als Geächteter. Und er geht unspektakulär – eigentlich untypisch für den begnadeten Techniker, bei dem eigentlich selten mal irgendetwas unspektakulär war.

Die Reaktionen in den BVB-Fanforen und auch in den Gesprächen der Fans untereinander waren überwiegend weit entfernt von Bestürzung oder gar Mitleid für den Spieler, dem nun natürlich das absolute Highlight seiner bisherigen Karriere entgeht. Erstaunlicherweise machte sich eine fast erleichterte Stimmung breit. Keiner scheint es groß zu bedauern, dass der BVB im vielleicht wichtigsten Spiel seit 1997 auf seinen besten Spieler verzichten muss.

Sportlicher Wert

Vielfach war zu lesen, dass man ihm dieses Finale nicht gegönnt hätte, dass er es nicht verdient habe, es zu erleben. Sogar rein sportlich betrachtet konnten viele Götzes Ausfall etwas abgewinnen, weil sie der Meinung sind, dass der BVB ohne ihn weniger berechenbar ist. Natürlich ist es fraglich, inwiefern ein nicht hundertprozentig fitter Götze in einem Spiel, in dem es auf unbedingten Einsatz und Laufbereitschaft bis zum Umfallen ankommen wird, überhaupt eine Hilfe gewesen wäre.

Schon vor dem Bekanntwerden des Ausfalls wurde spekuliert, dass die Startelf vom Samstag gegen Hoffenheim vielleicht ohnehin auch die Aufstellung vom Samstag sein wird. Und bei den Attributen „Laufbereitschaft“ und „Einsatz“ fällt einem spontan vielleicht auch eher Kevin Großkreutz als Mario Götze ein. Wie wenig wertvoll ein angeschlagener Super-Techniker gegen die Bayern in der aktuellen Form ist, hat Barcelona mit Lionel Messi bitter erfahren müssen.

Diskussion beendet

Diese merkwürdige Erleichterung speist sich aber nicht allein aus der Verachtung, den nicht wenige Fans dem einstigen Idol aufgrund der Umstände seines Wechsels (und aufgrund seines neuen Arbeitgebers) entgegen bringen. Sondern auch aus der Tatsache, dass die Frage „Götze bringen oder nicht?“ und die schier endlose Diskussion darum nun endlich ein natürliches Ende hat. Er wird nicht spielen. Punkt.

Vielleicht ist es gar nicht verkehrt. Wäre er fit gewesen, dann hätte sich am Samstag wieder alles nur um ihn gedreht, egal ob er in der Startelf gewesen wäre oder nicht. Gut möglich, dass sich die Mannschaft nun noch enger einschwören und auf das Spiel fokussieren kann.

Für den BVB ist der Ausfall vielleicht nicht unbedingt ein Vorteil, aber auch kein Weltuntergang. Ein Ausfall von Mats Hummels oder Robert Lewandowski würde sicher deutlich schwerer wiegen.

Mieser Schlusspunkt

Für Götze selbst ist es aber der schale und miese Schlusspunkt unter einer Saison, die seine Saison hätte werden können. Doch seit sein Wechsel zu den Bayern feststeht, sind seine Leistungen bei vielen vergessen. Für viele ist er jetzt schon nicht mehr Teil des BVB, viele Fans stoßen ihn demonstrativ aus der BVB-Familie aus. Und wenn man mal ganz ehrlich ist, haben seine Mitspieler, der Trainer und der ganze Verein außer vor dem Madrid-Heimspiel wenig unternommen, um in dieser Hinsicht entgegen steuern.

Im Gegenteil, es gab in der Folge einige Interviews von Spielern wie Hummels, Neven Subotic oder auch Marco Reus, die darauf hindeuteten, dass Götzes Entscheidung auch im Mannschaftskreis alles andere als gut angekommen war – auch deshalb weil Götze innerhalb des Teams offenbar auch immer als Dortmunder Urgestein betrachtet worden war. Doch ein Urgestein geht nicht zu den Bayern, das tut nur ein Söldner.

Enttäuschung

Götze hat einen ganzen Verein enttäuscht. Dabei ist das Wort „täuschen“ das Entscheidende. Man hat sich in ihm getäuscht. Es ist ja nichts gegen Söldner im bezahlten Fußball zu sagen, solange sie ihre Arbeit gut machen. Doch wenn sich einer, den man doch immer für einen der Unseren gehalten hat, sich plötzlich als Söldner entpuppt, trifft das die Menschen mehr, als wenn einer sich von Vornherein als Söldner outet.

Und aus diesem Grund schlägt der Fall Götze auch viel höhere Wellen als frühere Wechsel von BVB-Spielern zu den Bayern. Diesmal haben die Bayern einen Spieler abgeworben, dem man diesen Wechsel einfach niemals zugetraut hatte. Über den man immer dachte, wenn überhaupt geht er ins Ausland. Es ist ein Gefühl von Verrat, das sich nicht eingestellt hat, als Torsten Frings zu den Bayern ging. Dass sich auch nicht einstellen wird, sollte Lewandowski tatsächlich zu den Bayern gehen.

Unrühmliches Ende

Am Ende wird auch Götze selbst enttäuscht sein. Der Junge ist erst 20, hat große Erfolge mit dem BVB errungen und hat wohl insgeheim gehofft, das BVB-Umfeld durch eine gute Leistung im Finale noch mal etwas zu versöhnen, so dass er zumindest nicht mit Schimpf und Schande aus der Stadt gejagt wird. Diese Chance bekommt er nun nicht. Das verpasste Finale wird ihn sicher auch sportlich ärgern, aber diesbezüglich kann er ja beruhigt sein: als Spieler des FC Bayern ist die Wahrscheinlichkeit nicht so klein, dass er das in seiner Karriere noch ein paar Mal erleben wird.

Das ihm einige jetzt unterstellen, er habe sich die Verletzung absichtlich „genommen“, ist natürlich auch Unsinn. Kein Spieler lässt sich freiwillig ein Champions-League-Finale entgehen. Aber allein die Tatsache, dass es ihm zugetraut wird, sagt viel über sein aktuelles und wahrscheinlich auch künftiges Standing in Dortmund aus. Schließlich hält sich im Fußball nichts so leidenschaftlich wie Legenden.

Dummer Zufall

Diese Verletzung war ein dummer Zufall zu einer ungünstigen Zeit. Doch sie wird mit dafür verantwortlich sein, dass in Zukunft, wenn der Name Götze fällt, nur das unrühmliche Ende seiner Dortmunder Zeit bei den Leuten präsent sein wird und nicht die drei Jahre, in denen er auf dem Rasen gezaubert hat.

In der nächsten Saison kehrt er dann als Bayern-Spieler zurück ins Westfalenstadion. Dann wird er nichts mehr von der einstigen Bewunderung spüren, die ihm dort einst entgegen gebracht wurde. Wo er keinen glanzvollen oder doch zumindest versöhnlichen Abschied erlebte. Sondern genau den unbefriedigenden und sang- und klanglosen Abschied, den ihm viele Fans nach Bekanntwerden seines Wechsels gegönnt haben.

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