Damals am Abgrund

Wisst ihr eigentlich noch, wo ihr am 17. Februar 2005 wart? Die meisten BVB-Fans werden diese Frage mit „Ja“ beantworten können. Spätestens dann, wenn man das Stichwort „Existenzbedrohende Situation“ nennt.

Am 17. Februar 2005 war ich noch Schülerin. Ich war 19 Jahre alt und stand kurz vor dem Abitur an einem Dortmunder Gymnasium. In dieser Woche war Projektwoche, was für uns Dreizehner hieß, dass wir in kleinen Gruppen ein Thema und einen Vortrag vorbereiten mussten. Eine eigentlich sehr entspannte Woche, in der wir uns unsere Arbeitszeit frei einteilen konnten.

Bis zu jenem Donnerstag. Unsere Gruppe begab sich gerade einmal wieder die Treppe hinab, um eine kleine Zigarettenpause einzulegen, als ich eine SMS von meinem Onkel erhielt, deren Inhalt ich nie wieder vergessen werde. Der Text war kurz und lautete: „Den BVB gibt’s bald nicht mehr. Der Verein ist pleite.“

Wie ein Hammer

Zwei Sätze wie ein Hieb mit dem Vorschlaghammer direkt vor die Stirn. Natürlich wurde schon seit Monaten gemunkelt, dass es dem Verein finanziell nicht gut ging, dass Gerd Niebaum und Michael Meier sich hoffnungslos verkalkuliert hatten. Sportlich lief es ja schon seit einiger Zeit ohnehin nicht mehr besonders gut.

Aber die Möglichkeit, dass der Verein so pleite war, dass es er wirklich eines Tages vom Erdboden verschwinden könnte, wäre mir damals nie in den Sinn gekommen. Und den meisten anderen BVB-Fans wohl auch nicht.

Der Ruhr-Nachrichten-Artikel zur Pressekonferenz, der am 18. Februar 2005 erschien. (Foto: Sylvia Schemmann)

Der Ruhr-Nachrichten-Artikel zur Pressekonferenz, der am 18. Februar 2005 erschien. (Foto: Sylvia Schemmann)

Mein Onkel schrieb mir noch eine zweite SMS und teilte mir mit, dass in wenigen Minuten eine Pressekonferenz gegeben würde, in der weitere Einzelheiten bekannt gegeben werden sollten. Die musste ich natürlich sehen. Ich überredete meine Gruppe, dass wir den Arbeitstag an dieser Stelle beenden und raste nach Hause. Ich schaltete den Fernseher ein und sah versteinert zu, wie Michael Meier Krokodilstränen weinte.

Das letzte Mal?

In den nächsten Tagen erschienen Presseberichte, die die ganze Misere erklärten. Und schnell war selbst für mich damals in Wirtschaftsdingen völlig unbedarften Menschen klar: Es gab da bald diese Versammlung der Eigner des Stadionfonds Molsiris. Und wenn die dem Sanierungskonzept, dass der BVB vorstellte, nicht zustimmten, dann würden am Ende der Saison nach 96 Jahren beim BVB die Lichter ausgehen.

Ich erinnere mich an das letzte Heimspiel vor dieser Versammlung. Im Stadion herrschte eine eigentümliche Stimmung. Man merkte, dass viele in dem Gedanken gekommen waren: „Wer weiß, wie lange noch“.

Emotionen

Einen ganzen Monat lang verbrachten wir zwischen Hoffen und Bangen. Immer wieder versuchte ich, mir ein Leben, eine Welt ohne Borussia Dortmund vorzustellen. Es ging nicht. Meine Fantasie reichte dafür nicht aus. Dieser Verein ist immer ein so zentraler Teil meines Lebens gewesen. Ohne den BVB zu leben konnte ich mir genauso wenig vorstellen, wie ohne mein rechtes Bein zu leben.

Wut – auf diejenigen, die meinen geliebten Verein so herunter gewirtschaftet hatten
Resignation – weil wir nichts tun konnten außer zu hoffen
Trauer – im Vorgriff auf eine Zeit, in der das Westfalenstadion vielleicht eine langsam zusammenfallende Ruine werden würde und nur noch wenige Spuren der Leidenschaft herrschen würden, die einst hier geherrscht haben
Hoffnung – weil ich mir irgendwie ungeachtet aller Umstände nicht vorstellen konnte, dass man diesen Verein mit seiner großen und langen Geschichte wirklich sterben lassen würde

Von Fans anderer Vereine schallte uns höhnisch entgegen „Wenn wir wollen, kaufen wir euch auf.“ Lange Zeit hatten wir das gerne gegenüber kleineren Vereinen gesungen. Jetzt kam es wie ein Bumerang zurückgeflogen. Zu der Angst kam nun auch noch die Demütigung.

Erlösende Nachricht

Am 14. März 2005, einem Montag, kam dann endlich die erlösende Nachricht aus Düsseldorf, wo die Molsiris-Veranstaltung stattgefunden hatte. Die Eigner hatten dem Sanierungskonzept zugestimmt. Es war klar, dass harte und entbehrungsreiche Zeiten auf den Verein zukommen würden. Doch der BVB würde weiterleben.

„Ich hinterlasse ein bestelltes Feld. (Michael Meier, Felderbesteller)“

Diese Zeit hat die Fans, die sie miterlebt haben, unauslöschlich geprägt. Die Arroganz, die sich auch auf der Südtribüne eingeschlichen hatte, wich einer neuen Wachsamkeit. Und einer tiefen Dankbarkeit, dass es überhaupt weitergehen würde.

Bewusst erleben

Das alles ist jetzt zehn Jahre her. Es folgten zunächst chaotische Jahre, in der man beim BVB den Weg für die Zukunft suchte. 2008 fand man ihn und verpflichtete Jürgen Klopp. Alles, was danach geschah, die Meisterschaft 2011, das Double 2012 und das Champions-League-Finale 2013, hätte sich selbst der größte Träumer am 17. Februar 2005 nicht ausmalen können.

Wer das jedoch miterlebt hat, hat auch die Erfolge der letzten Jahre vielleicht noch einen Tacken bewusster miterlebt als manch ein Fan, der erst in den letzten Jahren dazu gestoßen ist. Es war die klassische „Phönix-aus-der-Asche“-Geschichte.

Nichts, was in der Vereinsgeschichte passiert, kann so schlimm sein, wie das damals. Kein Abstiegskampf. Und ein verlorenes Finale erst recht nicht. Denn das wichtigste Finale seiner Vereinsgeschichte hat der BVB 2005 gewonnen.

6 Gedanken zu „Damals am Abgrund

    • Depp!!! Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Ein 100.000.000 € Kader darf nun mal nicht gegen den Abstieg spielen. Kritik ist absolut legitim. Dennoch gilt, NUR DER BVB!!!

      • Sehen Sie, es gibt zwei Gruppen von Menschen. Die einen können sich artikulieren und wissen, dass Interpunktionszeichen keine Rudeltiere sind. Sie gehören zu der anderen Gruppe.

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